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Hinter dem "antifaschistischen Schutzwall" fand das Gedenken an den Holocaust nicht statt

Hinter dem "antifaschistischen Schutzwall" fand das Gedenken an den Holocaust nicht statt
Jugendliche in Ostdeutschland zeigen häufiger israelfeindliche Positionen als in Westdeutschland. Das von der DDR vermittelte Geschichtsbild trägt Schuld daran / Von KLAUS FABER

In der letzten Phase ihrer staatlichen Existenz hatte die DDR versucht, diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen. Vor den Wahlen vom 18. März 1990 lag den Anstrengungen auch das Motiv zu Grunde, für den zweiten deutschen Staat zu werben und, in indirekter Annäherung, das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten zu verbessern. Nach den Wahlen ging es im Wesentlichen darum, vor der Wiedervereinigung ein historisches Zeichen zu setzen. In beiden Zeitabschnitten führten die Bemühungen aus unterschiedlichen Gründen nicht zum Erfolg.

Lange Zeit waren Beziehungen zwischen Israel und der DDR kaum vorstellbar. So weit Gradabstufungen in derartigen Fragen möglich und sinnvoll sind, nahm die DDR in mancher Hinsicht gegenüber Israel eine noch unfreundlichere Haltung ein als die Sowjetunion. Spiegelbildlich ist dies, um ein Beispiel anzuführen, auch in einigen palästinensischen Reaktionen deutlich geworden, die den "Untergang" des treuen DDR-Verbündeten bedauerten.

Die DDR betrachtete sich nicht als Teilnachfolger des 1945 militärisch besiegten deutschen Staates. Sie "bezahlte" zwar für den Hitlerkrieg durch Reparationsleistungen oder auch durch die Anerkennung von deutschen Gebietsverlusten. Die Identitätsdefinition bestimmte aber der "antifaschistische Widerstand". Die damit begründete Traditionslinie erhielt eine besondere Prägung. Auf der einen Seite wurde die Bedeutung dieses Widerstandes in der Vermittlung über alle zugänglichen Medien - über die Schule, das Fernsehen bis hin zur Begründung von Gedenktraditionen - deutlich überhöht. In diesem Punkt gibt es Vergleichsansätze zu den Geschichtsbildern, die in einigen von Hitlerdeutschland besetzten Ländern Ost- und Westeuropas nach 1945 entwickelt wurden.

Zum anderen überzeichnete die Vermittlung der neuen Traditionen in der DDR den kommunistischen Anteil am Widerstand gegen Hitler. Die Gegner des antifaschistischen Widerstandes und deren Nachfolger waren, so die DDR-Interpretation seit den fünfziger Jahren, die erst später modifiziert wurde, angeblich im westdeutschen Staat an der Macht. Es gab nach diesem Erklärungsmuster für den deutschen Staat DDR oder die Deutschen in der DDR keine besondere historische Verantwortung für den Mord an den europäischen Juden. Für diesen Mord waren in der historischen Zuordnung allein die "Faschisten", der "faschistische Staat" oder der "Faschismus" zur Rechenschaft zu ziehen.

Auch ein anderer Argumentationszug "entlastete" in gewisser Weise die DDR und die DDR-Bürger. Der wesentliche Vorwurf gegenüber dem, was die DDR und andere "den Faschismus" nannten, bezog sich nicht auf die Verfolgung und Ermordung der Juden, auf die "moderne" rassistische Form des Antisemitismus und ihre Konsequenzen oder auf den Antisemitismus überhaupt. Die Hauptkritik richtete sich gegen den Unterdrückungsmechanismus des faschistischen Staates, vor allem gegenüber der Arbeiterklasse und ihrer Partei, und gegen seine expansionistische Aggressivität nach außen, vor allem gegenüber der Sowjetunion. Der Judenmord, so die DDR-Version, war ein Merkmal, das den inhumanen Charakter des faschistischen Staates in einem - zweifellos schwerwiegenden - Beispielsfall belegen konnte, er war aber nicht das unvergleichbare Menschheitsverbrechen, das für alle Zeiten mit dem deutschen Namen, mit der deutschen Identität verbunden sein würde.

Diejenigen, die es in der Erinnerungskultur der DDR in erster Linie zu ehren galt, waren konsequenterweise nicht die sechs Millionen ermordeten Juden, sondern die "Widerstandskämpfer" im Innern, vor allem diejenigen kommunistischer Provenienz, und die sowjetischen Streitkräfte als Befreier. Der Holocaust war in der DDR-Version der Geschichtsdeutung eher eine Randerscheinung als das zentrale Charakteristikum der faschistischen Geschichtsphase. Die jüdischen Opfer bildeten nur ein Glied in einer langen Kette von "Opfern des Faschismus" - und zwar, wie es eine Richtlinie formuliert hat, als "passive Opfer der NS-Kampfführung". Zu diesen "passiven Opfern" gehörten eineinhalb Millionen ermordete jüdische Kinder.

Auch die westdeutsche Gesellschaft hatte und hat bekanntlich Schwierigkeiten mit der Klärung ihrer Einstellung zum Holocaust. Vielleicht wird in Deutschland jetzt erst, in größerer zeitlicher Distanz und nach dem Ende der Teilungszeit, die Dimension des Geschehenen - zum Teil zögernd, widerwillig - wahrgenommen. Der französische Historiker François Furet hat, wie andere, den Tatbestand beschrieben: Der deutsche Staat hat unter Hitler die Juden aus dem Kreis der Menschen ausgeschlossen, sie unterhalb der Ebenen von Sklaven oder Haustieren eingeordnet, die Ermordung der jüdischen Menschen zum politischen Programm erhoben - und überall, wo deutsche Macht dies erlaubte, das Programm umgesetzt.

Globale imperiale Ambitionen des deutschen Staates hätten im Falle des Erfolges zum Untergang der jüdischen Gemeinschaften auf der ganzen Erde geführt. Die jüdischen Gemeinschaften - zur "Rasse" definiert - waren, so die NS-These, Feinde der Menschheit und vor allem des zur Weltherrschaft berufenen Volkes. Treitschkes "Die Juden sind unser Unglück" schloss, radikal und global interpretiert, die Juden nicht nur aus Deutschland, sondern aus dem Kreis der zum Leben Berechtigten aus. Bei anderen konnte es "Auswege", etwa durch Unterwerfung oder Zwangsumsiedlung, und zumindest, in einem bestimmten Rahmen, Diskussionen geben. Jedes jüdische Kind, auch das noch nicht geborene, war nach der NS-Doktrin ohne Diskussion und Ausweg zum Tode bestimmt.

Vergleichbares ist keiner anderen unter den zahlreichen Gruppen von Opfern Hitlerdeutschlands geschehen. Sinti und Roma, deren Schicksal demjenigen der Juden sehr nahe kommt, waren aus der NS-Sicht keine Feinde der Menschheit oder des Herrenvolkes. Teile der Sinti- und Roma-Gemeinschaft wurden verschont. Die rassenideologische Begründung des Völkermordes an den Sinti und Roma durch den NS-Staat hatte Probleme mit deren Herkunft aus Nordindien und ihrer sprachlichen Verbindung zu den indogermanischen Völkern. Am Verbrechen - dem Völkermord - hat dies nichts geändert. Der Holocaust ist aber, klar erkennbar, einer anderen Dimension zugeordnet.

Religiöse, sprachliche oder ethnische Unterdrückung, Vertreibungen, Zwangsumsiedlungen, Massen- oder Völkermord hat es vor allem in Territorialkonflikten und in Bürgerkriegen vor Hitler und nach Hitler häufig, allzu häufig, gegeben. Es ist, bei realistischer Einschätzung, kaum abzusehen, dass sich an diesem Sachverhalt in kürzerer Zeit viel ändern wird - Tibet, Südsudan, Osttimor, Kaschmir, die Bahai-Verfolgungen sind einige Stichworte aus einer fast beliebig zu verlängernden Liste. Was den Juden durch deutsche Hand geschehen ist, ist aber noch nie geschehen und wird, hoffentlich, nie mehr geschehen. Seit Hitler ist die deutsche Identität durch dieses Menschheitsverbrechen mitdefiniert, wie, umgekehrt und mit umgekehrten Vorzeichen, der Holocaust ein Identitätsmerkmal der jüdischen Gemeinschaften und des jüdischen Staates bildet, die in diesen und in anderen Fragen nicht voneinander getrennt oder gegeneinander ausgespielt werden können.

Das in der DDR entwickelte Geschichtsbild vermittelte davon wenig, in der zentralen Frage der eigenen Identität nichts. In den verbalen Angriffen auf den jüdischen Staat - die Bezeichnung "Kritik" wäre eine Verharmlosung - überschritt der DDR-Staat, wie dies zum Beispiel in einer von Julius H. Schoeps und Joachim Schlör herausgegebenen Publikation zu Antisemitismusfragen gezeigt wird, leicht die Grenzen zum unverhüllten Antisemitismus. Antisemitische Äußerungen und Tendenzen gab und gibt es auch in Westdeutschland, offen geäußerten staatlichen Antisemitismus dagegen nicht. Besondere mentale Barrieren von einer in der Nähe antisemitischer Agitation arbeitenden staatlichen Propaganda gegen Israel bestanden in der DDR nicht. Sie, die DDR, war, so die durchgängig verwendete Beschreibung der eigenen Stellung, für die Hitler-Verbrechen nicht verantwortlich; sie stand ein für allemal im Lager der Hitlergegner. Die den DDR-Bürgern gut bekannte Position des DDR-Staates lässt auch einen Entwicklungszusammenhang mit dem durch Erhebungen bestätigten Sachverhalt erkennen, dass es bei ostdeutschen Jugendlichen immer noch mehr Aufgeschlossenheit für antisemitische und israelfeindliche Positionen gibt als bei den entsprechenden Gruppen in Westdeutschland.

Es gilt an dieser Stelle einem - von manchen gelegentlich geförderten - Missverständnis vorzubeugen. Selbstverständlich ist nicht jede israelkritische oder -unfreundliche Reaktion, auch wenn sie Vorurteilen folgt und sachlicher Erörterung kaum standhalten kann, als antisemitisch zu qualifizieren. Israel oder die israelische Regierung machen wie jeder andere Staat und wie jede andere Regierung Fehler, und dafür werden sie im In- und Ausland zu Recht kritisiert und angegriffen. Um derartige Tatbestände, etwa im Zusammenhang mit Debatten zum Nahostkonflikt, kann es natürlich nicht gehen - und geht es zum Beispiel bei den erwähnten Umfragen auch nicht. Entgegen dem manchmal erweckten Eindruck haben wir in diesen Fragen in der Regel ein sehr gutes Gespür dafür, wo und wie die Grenzen zu ziehen sind.

Zum 50. Jubiläum der Gründung des Staates Israel wurde 1998 an den Schulen der ostdeutschen Länder ein Aufsatzwettbewerb durchgeführt. Die Sieger erhielten Auszeichnungen. Zu den verliehenen Preisen gehörten auch Reisen nach Israel. Eine Schülerin aus einem ostdeutschen Flächenstaat, die einen Preis erhalten hatte, nahm eine Einladung zur Feier des israelischen Unabhängigkeitstages nicht an. Aus Gewissensgründen, wie sie mitteilte, wegen der Ereignisse im israelischen Generalkonsulat in Berlin, die während der Kurdendemonstrationen nach der Verhaftung Öcalans zu Todesopfern geführt hatten. Auch vor dem Abschluss der Untersuchungen durfte die Schülerin nach dem Tenor der Berichte über diesen Vorfall vielleicht glauben, in dieser Form urteilen zu können. Fragen stellen sich aber doch an andere, die Mitverantwortung für die Urteilsbildung tragen. Primitive Gesellschaften vermitteln, so hat dies Bernard Lewis einmal formuliert, ihre Geschichtsbilder und die damit verbundenen Prägungen für die Gruppenbeziehungen nach innen und außen als Stammeserinnerung - z.B. in Balladen und Sagen -, moderne Gesellschaften dagegen vor allem im Schulunterricht, ergänzt durch Kino, Fernsehen und andere Medien. Es geht im erwähnten Fall nicht etwa um die Abwehr grundsätzlich unvertretbarer oder gefährlicher Positionen. Es geht vielmehr darum, ein Mindestmaß an Kenntnissen, Erfahrungen und Verständnis in die Beziehungen einzubringen.

In dieser Hinsicht sind auch andere Aspekte des Aufsatzwettbewerbs aufschlussreich. Das Echo auf die Wettbewerbsausschreibung fiel außerordentlich unterschiedlich aus, obwohl, so jedenfalls die Berichte, alle Schulen über den Wettbewerb informiert waren. In der Gesamtbilanz war das Wettbewerbergebnis - abgesehen von der Resonanz in einem der beteiligten Flächenstaaten - eher enttäuschend. Offensichtlich spielte, was die positiven Teilergebnisse anbelangt, das Engagement weniger Personen in der Schuladministration eine Rolle. Wo dies nicht vorhanden war, gab es nur unzureichende Reaktionen auf die Ausschreibung. Die Annahme ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass in einer ganzen Reihe von Fällen die Informationen über den Wettbewerb in den Schulen nicht, oder jedenfalls nicht in geeigneter Form, weitergegeben wurden.

Ein in sich zum Teil widersprüchliches Bild zeigen auch andere Bereiche der Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturbeziehungen zwischen Israel und den neuen Bundesländern. Unterhalb der Ebene der nationalen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland haben drei deutsche Länder auf diesem Gebiet Vereinbarungen mit der israelischen Regierung abgeschlossen - Nordrhein-Westfalen in den Bereichen Bildung und Wissenschaft, Sachsen für Bildung und Schule und zuletzt 1996 Sachsen-Anhalt, ergänzt um ein Zusatzabkommen von 1997, durch ein Memorandum zu den Gebieten der Bildung, Wissenschaft und Kultur. In den Wissenschaftsbeziehungen ist Israel nach den Vereinigten Staaten für Deutschland der wichtigste Partner. Dies gilt für die Zusammenfassung der Kooperation auf der nationalen Ebene, nicht für die einzelnen ostdeutschen Länder, in denen derartige Verbindungen erst aufgebaut werden müssen. Israel pflegt seinerseits auf diesem Gebiet eine enge Zusammenarbeit mit den USA. Das Leistungsniveau der israelischen Wissenschaftseinrichtungen ist in aller Regel durch einen sehr hohen Standard gekennzeichnet. Aus der ostdeutschen Interessensicht spricht viel für eine Vertiefung der Wissenschaftsbeziehungen zu Israel. Die einzelnen Länder und Einrichtungen folgen in unterschiedlichem, aber insgesamt wohl wachsendem Umfang dieser Einsicht.

Was für Wissenschaft und Forschung gilt, trifft im Wesentlichen auch für die Bildung, insbesondere das Schulwesen, zu. Die Zahl der Schulpartnerschaften ist seit den ersten Anfängen gewachsen. Grenzen ziehen allerdings die unterschiedlichen Größenverhältnisse. Israel, mit jetzt fast 6 Millionen Einwohnern, kann nicht jedem Wunsch nach neuen Schulpartnerschaften aus Deutschland, einem Land mit etwa 82 Millionen Einwohnern, entsprechen. Ältere Beziehungen zu Westdeutschland werden nicht ohne weiteres zu Gunsten der neuen Bundesländer aufgegeben. Auch die Reisekosten spielen bei neuen Partnerschaften zwischen Schulen in Israel und in Ostdeutschland eine Rolle. Hier gibt es - trotz der beschriebenen Kapazitätsgrenzen - noch viele Entwicklungsmöglichkeiten.

Vergleichbares gilt für die Austauschbeziehungen im Bereich der Kultur oder beispielsweise für die israelischen Angebote in der Lehrerweiterbildung, die sich sehr bewährt haben. Viel hängt im Übrigen von lokalen und regionalen Initiativen ab. Auf der Landesebene können zusätzliche Anstöße gegeben und Hilfen angeboten werden. Die Zahl der Israelbesucher aus den neuen Bundesländern hat insgesamt zugenommen. Sie ist beeindruckend, wenn man alle Programme - von den Angeboten der Landeszentralen für politische Bildung über Hochschulkontakte oder Schulpartnerschaften bis hin zu historisch-kulturellen Reiseveranstaltungen - zusammenfasst.

Wichtige Initiativ- und Informationsfunktionen nehmen auch für eine breitere Öffentlichkeit verschiedene Institutionen wahr, die sich mit der Geschichte der Juden in Deutschland und in Europa befassen. Formal betrachtet haben diese Themen nichts mit den Kontakten zu Israel zu tun. Tatsächlich bestehen aber vielfältige Beziehungen z.B. zu israelischen wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen. In fast allen ostdeutschen Ländern gibt es derartige Institutionen, etwa das Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam, die Moses-Mendelssohn-Akademie in Halberstadt, entsprechende wissenschaftliche Einrichtungen in Halle, Wittenberg, Leipzig oder Greifswald.

Die Tätigkeit israelischer Lehrkräfte an ostdeutschen Schulen, die zumeist auf der Grundlage von Abkommen der jeweiligen Landesregierung mit der Regierung Israels erfolgt, vermittelt in diesem Kontext interessante Eindrücke. Es gibt ein beträchtliches Interesse in der Lehrer- und Schülerschaft an Themen, die mit dem Judentum, dem Holocaust oder mit Israel zusammenhängen. Die bestehenden Angebote reichen in vielen Fällen nicht aus, um den Informations- und Diskussionsbedarf zu befriedigen. In den Gesprächen werden Wissenslücken deutlich, ebenso, was nicht überraschen kann, negative Vorprägungen aus der DDR-Zeit, die aber durchaus in den Bereich des Diskussionsfähigen einbezogen werden. Eine Rolle spielen, auch auf der Lehrerseite, häufig Fragen zur Religion, die große Distanz zu derartigen Themenbereichen erkennen lassen. In einer Sonderbeziehung - dem Verhältnis zum Judentum, dem Verhältnis zwischen Deutschland und Israel - wird ein allgemeineres Problem sichtbar: Der Mangel an Grundkenntnissen, was die Entstehung und Definition unseres und anderer Kulturkreise anbelangt. Dabei fällt auch ein weiterer Aspekt auf: die Unsicherheit in der Bestimmung eines positiven Verhältnisses zur eigenen deutschen Identität. Das ist nur scheinbar ein spezifisch ostdeutsches oder - überhaupt - ein anderes Thema. Ausländische Gesprächspartner stellen immer wieder erstaunt fest, wie schnell und leicht sich vor allem Westdeutsche regional, etwa als Hamburger, und dann sogleich, unter Umgehung der nationalen Ebene, supranational, als Europäer, definieren.

Wir werden im Buch unserer Geschichte keine Seite löschen können. Die größten Anstrengungen, nur nach vorne zu schauen, werden nur eines zu Wege bringen: dass wir immer wieder zurückblicken. Darüber, ob und mit welcher Intensität der Opfer gedacht wird, entscheiden außerhalb Deutschlands ohnedies nicht in erster Linie die Deutschen. Ende der siebziger Jahre gab es in Westdeutschland warnende Stimmen, die sich gegen die Ausstrahlung einer amerikanischen Fernsehserie über den Holocaust aussprachen. In der Wahrnehmung außenpolitischer Interessen, z.B. im Nahen Osten, werde man durch die Sendung und die folgenden Diskussionen behindert. Es sei, meinten einige, Zeit, die Debatte abzuschließen - eine Erwartung, die sich bekanntlich auch nach weiteren 20 Jahren nicht erfüllt hat.

Wir können unsere Geschichte nicht vergessen machen. Wir können unserem Geschichtsbuch und -bild aber neue Seiten hinzufügen. Wie mächtig, wenn auch vielleicht verdeckt und unbewusst, dieser Wunsch ist und wirkt, hat vor kurzem der Kosovo-Krieg gezeigt - in Appellen und nicht immer passenden historischen Vergleichen, die alle deutlich machen sollen, dass Deutschland jetzt wegen einer gerechten Sache, den Menschenrechten, mit richtigen Zielsetzungen, der Wiederherstellung der Rechte, Krieg führt. Man kann Zweifel äußern, ob der konkrete Fall für das beschriebene Anliegen besonders geeignet war und ist - diese Frage gehört aber in einen anderen Kontext. Dem berechtigten Ziel, mit dem eigenen Geschichtsbild auskommen zu können, bringen uns auch andere Wege näher. Das Gedenken an Holocaust, die Ehrung der Ermordeten, die Vertiefung der Beziehungen zu den wieder wachsenden jüdischen Gemeinden in Deutschland und zu Israel - das alles sind Themen und Aufgaben, die das Engagement lohnen.

In den neuen Bundesländern wird dazu ein Beitrag geleistet, der, falls er Erfolg hat, Ost und West in einer Frage zusammenführen kann, die nicht nur für Ostdeutschland Bedeutung hat. Noch ist dieser Erfolg nicht gesichert, letztlich, weil zu viel von wenigen abhängt - auch deshalb, weil die damit verbundenen Themen häufig eher am Rande der Zone der politischen Aufmerksamkeit angesiedelt werden.

Der Autor war von 1994 bis Februar 1999 Staatssekretär des Kultusministeriums von Sachsen-Anhalt. Klaus Faber ist Mitgründer und Kuratoriumsmitglied des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam.


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