Mitglieder der Bahá'í-Gemeinde sorgen
sich um Verwandte im Iran
(Samstag , 14. November 1998)
Repressalien und blanke Gewalt gegen größte religiöse
Minderheit - Todesurteile vollstreckt
Von Frank Bugge
KREIS GIESSEN. "Seit 19 Jahren werden wir im Iran als politische
Sekte verfolgt. Doch ist es schlimmer und gefährlicher geworden, als
Bahá'i im Ran zu leben", berichten Iraner aus dem Kreis Gießen,
die sich zur Bahá'i-Religion bekennen und zum Teil aus Angst vor
Verfolgung anonym bleiben wollen.
Einige von ihnen sind Flüchtlinge oder anerkannte Asylbewerber, einige
bereits Deutsche. Sie alle gehören zur Bahá'i-Gemeinde, die in
Gießen etwa 21 Erwachsene umfaßt. Im Landkreis Gießen bekennen
sich etwa 50 Menschen zur Religion, die von Bahá'u'lláh (1817-1892)
gestiftet wurde.
Die Bahá'i, so berichten sie, sind mit 300000 Mitgliedern die
größte religiöse Minderheit im Iran. Der Anspruch des
Ayatollahs, wonach der Islam die einzige gültige Religion ist,
führt zwangsläufig zur Verfolgung all jener, die diesen
Anspruch nicht anerkennen und sich zu einer anderen Religion
bekennen. Nach einer massiven Verfolgungswelle in den
80er Jahren habe sich zu Beginn der 90er Jahre eine Phase "relativer
Erleichterungen" durchgesetzt. Die endete jäh mit der
Vollstreckung eines Todesurteils am 21. Juli 1998. Nach einem
Geheimprozeß sei er wegen "Gefährdung nationaler
Sicherheitsinteressen" ermordet worden. Für die Bahá'i in
Gießen, wie weltweit, ist der Ermordete ein Opfer geworden,
nur weil er Bahá'i ist. Bereits 1984 und 1994 sei er verhaftet
worden, weil er Mitglied eines Geistigen Rates der
Bahá'i-Gemeinde gewesen ist und zu Gebetsversammlungen aufgerufen
habe. Die Bahá'i-Gemeinde gelte im Iran als eine
illegale Organisation, und schon die schlichte Zugehörigkeit zu
dieser Religion stelle eine strafbare Handlung dar.
Für Dr. Huschang Rahnema war, wie auch für Cornelia Bähr von
der Gießener Bahá'i-Gemeinde, diese Hinrichtung nur
der Auftakt einer neuen Verfolgungswelle. Da den Bahá'i
systematisch der Zugang zur Bildung wie etwa zum Studium
abgeschnitten werde, hätten die Menschen eigene Bildungsstätten
und -Strukturen aufgebaut und auch einen akademischen
Lehrbetrieb etabliert. Die iranische Regierung reagierte im September
mit der Verhaftung von 32 Lehrern in 14 Städten.
530 Häuser wurden geplündert. Zudem wurden erneut zwei
Todesurteile gegen Bahá'i vollstreckt.
Die deutschen Bahá'i-Gemeinden befüchten, daß die
Repressionen und die Gewalt gegen die Schüler Bahá'u'lláhs,
unter denen zum Großteil nahe Verwandte sind, weitergeht. Mit
öffentlichen Aktionen wie etwa zum Tag der Menschenrechte
im Seltersweg in Gießen sowie Veranstaltungen wollen sie auf ihr
Schicksal aufmerksam machen.
Bestärkt sehen sich die Bahá'i in den internationalen
Protesten, die den Iran erreicht haben. Sie setzen darauf, als
Glaubensrichtung im Iran anerkennt zu werden, denn nach dem
Verständnis der eigenen Religion streben sie die Einheit
aller Religionen nebeneinander an.
© Giebener Anzeiger
|