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"Religionsfreiheit ist ein Grundrecht der Menschen"

"Religionsfreiheit ist ein Grundrecht der Menschen"
Der Papst auf seiner 89. Auslandsreise in Indien

Von Andreas Englisch

Neu Delhi - Auf dem Weg zur Messfeier in das Jawarharlal Nehru Stadion am Sonntag konnte Papst Johannes Paul II. durch die Fenster der gepanzerten Regierungslimousine die zahlreichen Werbeplakate an den Lichtmasten genau sehen: Dort warben die Worte "Abortion: 500 Rupees" für eine Abtreibung für umgerechnet nicht einmal 20 Mark. In mehrheitlich katholischen Ländern versuchen die Behörden, die Plakatwerbung auf dem Weg, den der Papst nimmt, zu kontrollieren.

Aber nicht erst die offene Werbung für die billige und vermutlich lebensgefährliche Abtreibung erinnerten den Papst daran, dass er auf seiner 89. Auslandsreise ein Land besucht, in dem gerade einmal 1,6 Prozent der Bevölkerung katholisch ist. Zur Papstmesse in Neu Delhi kamen 35.000 - für eine päpstliche Feier in einer 10 Millionen Einwohner-Stadt kein Rekord und das Stadion war halbleer. Wäre das Papst nicht nach Delhi, sondern in die katholischen Hochburgen in Süd-Indien geflogen, hätte es das erwartete "Bad in der Menge" gegeben. In Madras erwarteten ihn bei seinem ersten Besuch 1986 eine Million Menschen.

"Genau das wollte der Papst diesmal nicht", sagte in Delhi Vatikansprecher Joaquin Navarro Valls der WELT. Der Papst wolle in Neu Delhi eine kleine, schwache Kirche zeigen, die in Asien auf die Toleranz der anderen angewiesen sei. Allein China und Indien stellen mehr als ein Drittel der Menschheit: Unter den zwei Milliarden Buddhisten, Hindus, Moslems und Taoisten leben nur knapp 40 Millionen Christen, zwei Prozent der Bevölkerung. Toleranz braucht die katholische Kirche also dringend, denn die Botschaft, die der Papst nach Indien brachte, birgt Sprengstoff für einen ganzen Kontinent.

Anlass der Reise ist die Beendigung der Synode der 150 asiatischen Bischöfe und Johannes Paul II. überreichte ihnen das Schlussdokument "Ecclesia in Asia". Darin stellt er eine Forderung auf, die von indischen Zeitungen mit Fassungslosigkeit wiedergegeben wurde: "Der Papst will Asien christianisieren", stellt die Zeitung "Asian Ages" fest. Der Papst verlangte in der Schrift von seinen Bischöfen, mehr Andersgläubige zu bekehren und Asien zu evangelisieren. Schließlich gebe es "nur eine Glaubenswahrheit, die die Rettung bringt, auch wenn das den anderen Religionen schwer zu vermitteln ist", so der Papst in der Kathedrale von Neu Delhi.

Beim Treffen mit erschiedenen Religionsführenan dem Hindus, Sikhs, Jain, Parsi, Bahai, der Religionsführer der Moslems und der indische Rabbi Isaac Malekar teilnahmen, zeigte sich der Papst tolerant: "Unser Glaube respektiert die Überzeugungen anderer; Religion dürfen niemals für Konflikte benutzt werden."

Alle Religionsführer waren sichtlich beeidruckt, überraschend umarmte der Hindu-Führer, Guru Shankaracharya, den Papst als eine Geste des Friedens und bekräftigte: "Sie sind unterwegs, um eine geistige Vereinigung der Menschen auf dieser Welt zu schaffen - und wir sind mit Ihnen." Rabbi Isaac Malekar sagte, die Christen, bräuchten keine Angst vor Übergriffen zu haben: "Die Präsenz der Juden in Indien seit 2.000 Jahren ist ein leuchtendes Zeichen für religiöse Toleranz". Der Papst wiederum bekräftigte: "Eine Religion zu wählen, auch seine Konfession zu wechseln, ist ein Grundrecht des Menschen". Er stützte sich dabei auf die indische Verfassung, die Religionsfreiheit gewährt. Einer Missionierungswelle in Asien stünde also nichts im Wege. Der Erzbischof von Bangkok, Kardinal Michael Michai Kitbunchu (70) bestätigte gegenüber der WELT in Neu Delhi: "Im kommenden Heiligen Jahr werden wir sehr, sehr viel Buddhisten taufen, die wir lange für das Ereignis vorbereitet haben."

Hinduführer fürchten die päpstliche Absicht aus einem einfachen Grund: Eine deutliche Ausweitung des Christentums würde nicht nur das Verhältnis der Religionen auf dem Subkontinent ändern, sondern den Zusammenhalt der indischen Gesellschaft angreifen, die durch das Kastensystem geprägt ist. Um in Asien wachsen zu können, setzt die katholische Kirche auf die Ärmsten der Armen und vor allem auch die Frauen. Am Sonntag erinnerte der Papst an Mutter Theresa und rief die reichen Staaten auf, den ärmsten zu helfen. Er selbst wird dem vom Orkan heimgesuchten indischen Bundesstaat Orissa 300.000 US-Dollar spenden. Bei ähnlichen Anlässen, etwa beim Besuch von Rumänien, gab der Papst nie mehr als 50.000 Dollar für eine Spende aus.

Im Vorhof vor der Kathedrale von Neu Delhi zeigte der Vatikan, wie der Papst in Asien seinen Einfluss ausweiten will: Mit Verständnis. Die Hindus feierten am Sonntag das Fest der Ankunft des Lichts "Diwali", dem Weihnachtsfest gar nicht so unähnlich. Man verschickt Grußpostkarten, verteilt Geschenke, die meisten Geschäfte bleiben geschlossen. Schon bei seiner Ankunft sagte der Papst, dass auch die Christen"Diwali" feierten. Die Ankunft des Lichtes sei für die Christen die Ankunft Christi. Vor der Kathedrale ließ der Vatikan Lichterketten aufhängen, so wie vor einem Haus einer Hindu-Familie, die "Diwali" feiert.


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