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A wie Anfang:
Wer sind eigentlich die Juden?

Von Rabbiner Walter Rothschild
ersch. in 99 Fragen zum Judentum

Es gibt eine einfache Antwort auf diese Frage, und die ist: Das weiß niemand. Es gibt viele Definitionen dafür, wer jüdisch ist, und viele von ihnen sind widersprüchlich. Daher werden wir hier nur kurz einige erforschen.

[ Tipp: Am 29. März 2001 um 21.30 h wird Rabbiner Rothschild im haGalil-Chat zu Gast sein zum Thema: Wer ist Jude - was ist jüdische Identität? ]

Erstens – Ist es eine Religion?
Falls ja, dann sind die Juden diejenigen, die an die Religion glauben, die als "Judentum" bekannt ist – "Jahadut". Wenn es auch verschiedene Formen dieser Religion gibt, so teilen sie im wesentlichen den Glauben an Den Einen Gott, d.h. Gott ist einzig und allumfassend, Gott ist der Schöpfer aller Dinge, und es gibt keine Macht im Weltall außer Gott; dass Gott ein besonderes Volk auserwählt hat und einen besonderen Bund mit ihm geschlossen hat, durch den es zusätzliche Verantwortlichkeiten trägt, festgelegt als Gebote (Mizwot), von denen die meisten für die übrige Welt nicht verpflichtend sind. Diese definieren die Art und Weise des Gottesdienstes, einen Kalender mit festgelegten Tagen von Ruhe und Festen, besondere Regeln für Nahrung, für Heirat und Beziehungen, für die Behandlung von Tieren und Landwirtschaft, legen ein besonderes Verhältnis zu Israel und Jerusalem zugrunde, und daneben noch viele andere Dinge. Gemäß dieser Definition ist ein Jude jemand, der glaubt. Aber – es gibt viele, die das nicht tun und doch immer noch Juden sind!

Drittens – ist es eine Rasse oder eine Volksgruppe?
Falls ja, dann ist ein Jude jemand, der in eine jüdische Familie hineingeboren wird und "jüdische Gene" trägt; ein Jude kann nach dieser Definition an einer bestimmten Hautfarbe erkannt werden oder an der Form des Kopfes (oder Nase) oder an der Farbe der Augen oder des Haares, und kann nur dann jüdisch sein, wenn er auf diese Weise geboren wurde. Gemäß dieser Definition ist ein Jude jemand, der einfach ist. Aber auch dies ist eine höchst unzutreffende Definition. Es gibt Juden aller möglichen verschiedenen Erscheinungsbilder von Größe, Form und Farbe, und es ist möglich, zum Judentum zu konvertieren.

Viertens – ist es eine geistige Bildung?
Falls ja, dann ist ein Jude jemand, der sich "jüdische Musik" anhört, "jüdische Kunst" ausübt, nach "jüdischen Rezepten" kocht, "jüdische Witze" macht. Aber vieles von dem, was normalerweise als jüdisch eingeordnet wird, ist einfach osteuropäisch – von jüdischen Immigranten in die westliche Welt hineingebracht, aber nicht wesenhaft jüdisch; oder aus dem Mittelmeerraum – von jüdischen Reisenden oder von israelischen Exporteuren popularisiert, aber auch nicht wirklich jüdisch. Natürlich gibt es bestimmte Kunst- oder Musikwerke, die von jüdischen Themen handeln. Aber es gibt Juden, die sie nicht mögen und es gibt Nichtjuden, die diese Themen bearbeiten.

Fünftens – ist es eine Nationalität?
Falls ja, dann ist ein Jude jemand, der in einem jüdischen Staat lebt. Von diesen gibt es nur einen – den Staat Israel – und er hat viele, viele Bürger, die keine Juden sind, aber dennoch volle Bürgerrechte genießen, einschließlich des Rechts, in die Knesset, das Parlament des Landes, gewählt zu werden; sie genießen das Recht, in Kirchen und Moscheen und Bahai-Tempeln Gottesdienste abzuhalten... Aber es gibt tatsächlich viele Israelis, die jetzt außerhalb Israels leben und die diesen Glauben – genannt "Zionismus" – nicht teilen, nämlich dass der Platz für alle Juden im Lande Zion ist.
Daher ist auch dies eine Fehldefinition.

Tatsächlich ist es auch so, dass viele Definitionen zum Judentum und den Juden von den Feinden der Juden kamen. Diejenigen, die sich gegen diesen Glauben stellten, versuchten, die Juden zu "retten", indem sie sie veranlassten, zu einer anderen Religion überzutreten. Sie versuchten zu erzwingen, dass die Juden sich anpassen, ihre Namen und Sprachen verändern, ihre Sitten und Gebräuche fallenlassen, und hofften dafür den Zugang zu den Privilegien der Angehörigen der breiteren Gesellschaft einzutauschen – Zugang zu Universitäten oder gewissen Berufen, Bürgerrechte usw.

Diejenigen, die sich gegen die "Rasse" stellen, versuchen, die Juden über die Eltern und Großeltern und das "Blut" zu definieren, was zu allen Arten von Anomalien führt – wie zum Beispiel der katholischen Nonne mit jüdischen Eltern, oder einer Person, die wegen eines Großelternteils, dem sie nie begegnet ist, eingeordnet wird. Diejenigen, die der Idee einer politischen Identität widersprechen, greifen die Idee eines jüdischen Staates an und erklären sie – ironischerweise – als rassistisch und der modernen Welt nicht angemessen – indem sie bequemerweise viele andere Staaten vergessen, die ebenfalls eine bestimmte Ideologie fördern. (Ich würde persönlich so argumentieren, dass der Anti-Zionismus dem Anti-Semitismus gleichkommt, wenn der Zionismus als die einzige Ideologie herausgestellt wird, die angegriffen wird.)

Am Ende bleibt uns nur eine Mischung aus widersprüchlichen und unsystematischen Definitionen übrig. Gemäß dem jüdischen Gesetz ist ein Jude jemand, der von einer jüdischen Mutter geboren wurde, oder jemand, der zum Judentum übergetreten ist. Nur eine solche Person darf einer jüdischen Gemeinde angehören. Aber was ist, wenn die Mutter zu einer anderen Religionü bergetreten ist? Was ist, wenn die Person selbst zu einer anderen Religionü bertritt? Was ist, wenn es keinen wirklichen Beweis dafür gibt, dass die Mutter jüdisch war? Was ist eine gültige Handlung des "Übertritts"? (Siehe zur Diskussion darüber die entsprechende separate Frage.) Was ist, wenn jemand als junges Kind adoptiert wird? (Entweder von einer jüdischen Mutter – oder von einer nichtjüdischen Mutter?) Was ist, wenn eine Regierung oder eine politische Partei ihre eigenen Definitionen erstellt und versucht, diese durchzusetzen?

Für den Augenblick – "die Juden" ist ein Oberbegriff, der für diejenigen benutzt wird, die jüdischen Gemeinden angehören, und für diejenigen, die – wenn sie auch entschieden haben, keine Mitglieder zu sein, oder wenn sie auch weitab jeder Gemeinde wohnen – doch Mitglieder sein könnten, wenn sie wollten. Diese Definition mag einigen unfair erscheinen – aber letztlich scheinen doch alle Definitionen für irgend jemanden unfair zu sein!

aus: Walter Rothschild: 99 Fragen zum Judentum Gütersloh 2001

[ Tipp: Am 29. März 2001 um 21.30 h wird Rabbiner Rothschild im haGalil-Chat zu Gast sein zum Thema: Wer ist Jude - was ist jüdische Identität? ]

zum Weiterlesen:
Golem - ein


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