Bahá'í Library Online
.. . .
.
Back to Newspaper articles archive: 2001


Deutschland und die Welt

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.05.2001, S. 15

Am Schrein der Bahai in Haifa

Eröffnung der Terrassengärten / Von Wolfgang Günter Lerch

FRANKFURT, 21. Mai. Haifa liegt am Fuße des Berges Karmel, der sich mit seinen Ausläufern vorwitzig in das Mittelmeer schiebt. Es ist eine der schönsten Städte Israels. Zusammen mit dem nahe gelegenen Akkon, seiner Schwesterstadt, bildet es ein sehenswertes touristisches Ensemble. Doch Haifa ist auch das Zentrum der Bahai-Religion, zu der sich insgesamt etwa fünf Millionen Menschen in den meisten Ländern der Erde bekennen. Nur in einigen islamischen Staaten haben die Bahai bis heute mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Sie müssen verbergen, daß sie diesem aus dem Islam hervorgegangenen Glauben anhängen.

An diesem Dienstag werden sich einige tausend Menschen am Fuß des Karmel inmitten von Haifa versammeln, um der feierlichen Eröffnung der "Terrassen am Schrein des Bab" beizuwohnen. Damit findet ein Projekt - die Anlage von neunzehn Terrassengärten auf dem Gelände des Weltzentrums der Bahai - seinen Abschluß, das vor zehn Jahren begonnen worden war. Nicht nur die Bahai-Gemeinde, für welche diese Terrassen auch eine spirituelle Bedeutung haben - neunzehn gilt in ihrem Glauben und dem eigenen Kalender als eine besonders heilige Zahl -, auch Haifa ist damit um einen Anziehungspunkt reicher geworden.

Aus annähernd zweihundert Ländern werden Sprecher und Anhänger der Religion nach Haifa kommen, dazu die Honoratioren der Stadt und andere Gäste. Daß sie im heutigen Israel ihr Zentrum haben, obschon die Religion um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Iran entstand, ist übrigens keine "zionistische Verschwörung", wie manche in Teheran behaupten. Es ist vielmehr Zu- und Wechselfällen der Geschichte geschuldet. Auch das irakische Bagdad oder das türkische Edirne hätten Zentrum dieses Glaubens werden können. Der Sultan des Türkischen Reiches hatte jedoch den eigentlichen Stifter dieser Religion, Bahaullah, auf Drängen des Schahs von Iran und anderer "Machthaber" zuletzt nach Akkon verbannt. Dort blieb er bis zu seinem Tode. Bahaullah, ursprünglich in Teheran zu Hause, setzte in der Verbannung und Gefangenschaft das religiöse Werk jenes "Bab" (Mirza Ali Muhammad, 1819-1850) fort. Er war ein iranischer Schriftgelehrter aus Schiraz, der mit heterodoxen Lehren, die sich vor allem gegen die Bigotterie und die Erstarrung des religiösen Gesetzes im schiitischen Islam wandten, den Zorn der Mullahs herausgefordert hatte. Bevor man ihn hinrichten ließ, wies er auf einen "Größeren" hin, der nach ihm kommen werde, um sein Werk zu vollenden. Er selbst sei nur der "Bab", die spirituelle "Pforte", für diesen Größeren. Von dem Erweckungsprediger, der sich im Alter von 25 Jahren als Künder einer neuen Offenbarung bekannte, ging die Bewegung der Babis aus. Sie mußte wegen ihrer für die damalige Zeit aufrührerischen Ideen mit der Staatsmacht in Konflikt geraten. So setzten sich ihre Mitglieder für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein und kämpften gegen korrupte Mullahs und überholte religiöse Dogmen.

Die Gedankenwelt des Bab, die auch in den Bahai-Glauben eindrang, fußte auf den eschatologischen, endzeitlichen Vorstellungen der Schiiten, wie sie vor allem von der Erweckungsbewegung der Scheichi-Sekte im 18. Jahrhundert wiederbelebt worden waren. Der Leichnam des Bab wurde nach der Hinrichtung in Täbris von seinen Anhängern unter schwierigen Umständen nach Palästina gebracht. Daß dort hundert Jahre später Israel entstehen sollte, konnte niemand ahnen.

Durch den Offenbarer Bahaullah ("Herrlichkeit Gottes", 1817-1892), der eigentlich Mirza Hussein Ali hieß, wurde seit dem Jahre 1863 aus der ursprünglichen Babi-Reformbewegung im schiitischen Islam eine eigenständige Religion. Sie begann sich vor allem unter dem Sohn Bahaullahs, Abdulbaha (1844-1921), zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Europa und Amerika auszubreiten. In Deutschland faßte diese neue Religion nach einem Besuch Abdulbahas hauptsächlich im schwäbischen Raum Fuß, in Stuttgart und Eßlingen; heute ist Langenhain bei Frankfurt das Zentrum der deutschen Bahai. Dort steht auch ihr Tempel, dessen beeindruckende Kuppel weithin sichtbar ist. Inzwischen erhebt sich auf jedem der fünf Kontinente ein solches Haus der Andacht, wie die Bahai ihre Tempel nennen. Das zentrale Heiligtum in Haifa gilt für die Bahai als Universales Haus der Gerechtigkeit. Seit dem Tode Shogi Effendis, des Sohnes von Abdulbaha, im Jahre 1957 wird die Gemeinde nicht mehr von einer Einzelperson, die noch Verbindung zu den Offenbarern gehabt hatte, geleitet, sondern von einer gemeinschaftlichen Führung. Über die Frage der legitimen Nachfolge, aber auch über Probleme der Lehre ist es in letzter Zeit zu intellektuellen Auseinandersetzungen zwischen einigen "Abtrünnigen" und Vertretern der Glaubensgemeinschaft gekommen.

Aus dem schiitischen Islam und dessen Endzeit-Lehren entstanden, hat sich der Bahai-Glaube zu einer eigenständigen Religion entwickelt, die von vielen Wissenschaftlern als durchaus authentische Weltreligion anerkannt wird. Die Bahai glauben, daß sich die ursprünglich eine und unteilbare monotheistische Offenbarung aller Hochreligionen in jeweils eigenen Stiftergestalten immer wieder erneuert; es ist sozusagen der alte Wein, der in neue Schläuche gefüllt wird. Das ist das Prinzip der zyklischen Offenbarung. Das Verhältnis der Bahai-Religion zum Islam gleicht nach Auffassung mancher Bekenner dieses Glaubens dem des Christentums zum Judentum. In den Andachten der Gemeinden wird denn auch aus allen heiligen Schriften rezitiert, auch aus dem Koran. Den Bahai hat das gelegentlich den Vorwurf des religiösen Synkretismus eingetragen. Noch in den Schriften Bahaullahs und Abdulbahas wimmelt es aufgrund der Entstehungsgeschichte dieser Religion von Koranzitaten.

Im Ursprungsland Iran kam es schon im 19. Jahrhundert zu oft blutigen Zusammenstößen zwischen den Babi-Anhängern, später den Bahai, und der von den Mullahs aufgehetzten Staatsmacht, die diese "Ketzer" in die Knie zwingen wollte. Umgekehrt griffen auch einige Babis zur Waffe, anstatt sich auf die friedliche Predigt zu beschränken. Dabei wurden nach Schätzungen 20 000 Babis und Bahai getötet. Auch im 20. Jahrhundert war das Verhältnis zwischen der schiitischen Mehrheit und den etwa 300 000 Bahai in Iran von Verfolgung, bestenfalls Duldung bestimmt. Nach der Islamischen Revolution im Jahre 1979 kam es zu Hinrichtungen und Morden an Bahai. Viele wurden ins Gefängnis geworfen. Einigen Bahai machte man mehr oder weniger willkürlich den Vorwurf, sie hätten sich von der Familie des Schahs korrumpieren lassen. Bis heute hat sich die Lage dort nicht wirklich normalisiert. Die Bahai gehören nicht zu jenen religiösen Gemeinschaften, die durch die religiös ausgerichtete Verfassung der Islamischen Republik geschützt werden. Man kann die Bahai-Lehren als eine universalistische Ethik auf mystisch-theistischer Grundlage verstehen, die den Wesenskern aller Hochreligionen in einer "Einheit in Vielfalt" der Menschen vereinen möchte.

Bei den Eröffnungsfeierlichkeiten werden ein Oratorium und eine Symphonie erklingen, die von dem norwegischen Komponisten Lasse Thoresen und von dem tadschikischen Tonsetzer Tolib Shahidi für diesen Anlaß geschaffen worden sind. Mit der Fertigstellung dieser Gärten, und zwar 157 Jahre, nachdem sich der Bab "erklärt" hatte, findet das Weltzentrum der Bahai nicht allein landschaftsarchitektonisch seine Vollendung: Der Garten gilt - nicht nur in Persien - als Metapher für das Paradies.


©Copyright 2001, F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main

.
. .