Stuttgarter Zeitung, Seite 4 (Politik), vom 21. Januar 2002
Gepredigt wird der Friede überall
Beim Weltreligionstag führen Vertreter von fünf Glaubensgemeinschaften
den höflichen Dialog
Religiös begründete Gewalt ist nicht erst seit dem 11. September
2001 ein globales Problem. Sie zu stoppen, muss das Ziel aller Glaubensgemeinschaften
sein. Darüber herrschte beim Weltreligionstag Einigkeit, fraglich
blieb der Weg dorthin.
Von Michael
Trauthig
Unter dem
Banner des Glaubens werden weltweit Menschen getötet. In Palästina
kämpfen Juden gegen Muslime, in Nordirland Protestanten gegen Katholiken,
in Indien und Pakistan Hindus gegen Moslems. Dieser Entwicklung entgegenzuwirken,
ist ein Anliegen des Weltreligionstags. Er wurde 1951 am dritten Januar-Sonntag
in Stuttgart eingeführt und wird nun in gut 80 Ländern der Erde
gefeiert. In der Landeshauptstadt kamen auf Einladung der Bahai-Gemeinschaft
Vertreter von fünf Weltreligionen zusammen.
Unter dem
Motto «Religionen gemeinsam gegen Gewalt», wurde diskutiert,
wie die Quellen des Fanatismus trockenzulegen sind. Dass diese Frage viele
Menschen bewegt, zeigte der gute Besuch der Podiumsdiskussion im Neuen
Schloss. Wer aber gehofft hatte, nun werde der Vertreter des Judentums
zu Israels Liquidierungspolitik Stellung nehmen oder der Zentralratsvorsitzende
der Muslime in Deutschland, Nadeem Elyas, werde seine Sicht des Afghanistan-Kriegs
erläutern, sah sich enttäuscht. Statt eine aktuelle Debatte
zu führen, übten sich die Diskutanten im höflichen interreligiösen
Dialog. Dieser mag zwar helfen, Vorurteile abzubauen und das Miteinander
im Alltag einzuüben. Er birgt aber auch die Gefahr, zum Ritual zu
verkommen. Kaum weiter führend wirkte es in dem gestrigen Rahmen
jedenfalls, wenn die Diskutanten einhellig betonten, sowohl Buddhisten
wie auch das Judentum, Christentum, der Islam und die Bahai predigten
den Frieden.
Die Vorschläge
blieben vage und boten kaum Neues. Urs Baumann vom Institut für ökumenische
Forschung in Tübingen regte an, die Religionen müssten ihren
Absolutheitsanspruch hinterfragen. Stellten sie das Trennende hintan,
könnten sich die Religionen auf ein Weltethos einigen. Ähnlich
äußerte sich Christopher Sprung von den Bahai und Paul Köppler
von der Deutschen Buddhistischen Union. Allerdings stießen sie auf
den Widerspruch von Elyas. Er sagte, gläubige Muslime gingen davon
aus, im Besitz der Wahrheit zu sein. Das hindere sie aber nicht, Anhängern
anderer Religionen mit Respekt zu begegnen. Nur Meinhard Tenné von der Israelitischen
Religionsgemeinschaft präsentierte eine überraschende
Idee. Er regte eine Massendemonstration aller Gläubigen an. «Wenn
nur die Hälfte dieser zwei Milliarden Menschen auf der Welt für
den Frieden auf die Straße geht, könnte die Politik an einer
solchen Kundgebung nicht mehr vorbei».
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