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Bahá'í Nachrichten Deutschland 3/2002 (1. März), Seite 17

Religionen gemeinsam gegen Gewalt

Weltreligionstag 2002 erstmals als Podiumsgespräch

Von Michael Paul Gollmer

Bereits 1951 wurde der Weltreligionstag auf Anregung der Bahá'í von Vertretern unterschiedlicher Religionen in Stuttgart eingeführt. Das diesjährige Thema «Religionen gemeinsam gegen Gewalt» war unter dem Eindruck des 11. Septembers 2001 besonders aktuell. Eine Vorgabe für das Stuttgarter Gespräch war die Weimarer Erklärung des Interkulturellen Rats in Deutschland. Bei der Veranstaltung in der Herderkirche am Tag der deutschen Einheit 2001, die unter der Schirmherrschaft von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse stand, stellten die Vertreter der Religionen einstimmig fest, dass «wirklich religiöse Menschen Gewalttaten ablehnen» und keine Fanatiker sind.

Der Weltreligionstag fand dieses Jahr am 20. Januar im Neuen Schloss Stuttgart erstmals in Form eines Podiumsgesprächs statt. Diese Form hatte der Stuttgarter Arbeitskreis bewusst gewählt, um - über bloße Statements hinaus - einen Dialog zu ermöglichen, der auch kritische Zwischentöne zulässt. Für die vertretenen Religionen waren Professor Urs Baumann vom Institut für Ökumenische Forschung der Uni Tübingen, Meinhard Tenné vom Zentralrat der Juden, Paul Köppler von der buddhistischen Union, Nadeem Elyas vom Zentralrat der Muslime und Christopher Sprung vom Nationalen Geistigen Rat der Bahá'í geladen.

Im Rahmen der Pressekonferenz einige Tage vor der Veranstaltung lobte Meinhard Tenné, ehemaliger Vorstandsprecher der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg, unser friedensstiftendes Engagement: «Die Bahá'í wollen Grenzen niederreißen und gemeinsame Wurzeln hervorholen.» Die Feierstunde wurde im Großraum Stuttgart durch Zeitung und Radio angekündigt, was einen guten Besuch garantierte. An die 450 Zuhörer folgten schließlich am Sonntagnachmittag gespannt dem Gespräch.

Christopher Sprung erklärte, dass es nach unserem Glauben heute gelte, alle Absolutheitsansprüche über Bord zu werfen. Unser Anliegen sei weit mehr als Toleranz. Toleranz könne nämlich lediglich generöse «Duldung des Andersgläubigen» meinen; selbst glaube man aber noch an die eigene Überlegenheit, an die Alleingültigkeit seiner Wahrheit. An die gemeinsame Quelle der Religionen zu glauben, bedeute hingegen, alle Religionen «auf gleicher Augenhöhe zu umarmen».

Der katholische Theologe Professor Urs Baumann sagte, er könne jeden nur darin bestärken, die eigene Religion «als die beste für sich selbst» zu verstehen, aber Andersgläubige hätten eben für sich selbst dasselbe Recht. Religionen seien wie Landkarten. Es gäbe unterschiedliche Landkarten, aber alle zeigten den Weg zum Ziel.

Ähnlich äußerte sich Meinhard Tenné: «Jeder Glaubende muss glauben, die Wahrheit gefunden zu haben, darf diese aber nicht anderen überstülpen.» In seiner unverwechselbaren Art regte er eine gemeinsame Massendemonstration aller Gläubigen an: «Wenn nur die Hälfte dieser zwei Milliarden Menschen auf der Welt für den Frieden auf die Straße geht, könnte die Politik an einer solchen Kundgebung nicht mehr vorbei.»

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Nadeem Elyas, betonte, dass wenn wir das Friedenspotential einer Religion wirklich kennenlernen möchten, wir uns auf deren ersten Impuls, auf die frühe Zeit nach der Offenbarung konzentrieren sollten. Es sei unsere gemeinsame Aufgabe, die Zerrbilder unserer oft klischeehaften Vorstellungen der Religionen hinter uns zu lassen.

Der Meditationslehrer Paul Köppler unterstrich, dass alle spirituellen Menschen - so sie auch einen Funken der Wahrheit erspäht haben - immer demütig bleiben und sich ihrer Unwissenheit bewusst sein sollten. Die geistige Wahrheit dessen, was wir Gott nennen, kann niemals verstanden werden. Die Anhänger der unterschiedlichen Religionen haben unterschiedliche Sichtweisen auf diese Realität, weil sie sich von verschiedenen Seiten annähern. So war der Konsens, der gefunden wurde, nicht nur ein Konsens im Ethischen, beispielsweise im Sinne der Goldenen Regel, sondern darüber hinaus auch eine Annäherung in Fragen geistiger Natur und des religiösen Weltbildes.

Johannes Frühbauer von der Stiftung Weltethos betonte: «Zum Dialog zwischen den Religionen und Kulturen gibt es keine Alternative.» Das harmonische Gespräch am Weltreligionstag zeigte, dass eine fruchtbare Zusammenarbeit der Religionen in Deutschland durchaus denkbar ist.

Der Moderator des Gesprächs, Andreas Rössler, Chefredakteur des Evangelischen Gemeindeblatts für Württemberg, verabschiedete sich am Sonntagabend von mir mit den Worten, er wolle nun schnell nach Hause, um noch am selben Abend einen Artikel für seine Zeitung zu verfassen. Dieser und weitere Presseberichte, unter anderem aus dem Politikteil der Stuttgarter Zeitung, sind im Internet unter www.weltreligionstag.de abrufbar.

Der jüdische Vertreter Meinhard Tenné nannte die Einführung des Euros und die Auflösung der DDR als positive Beispiele dafür, gemeinsam etwas zu bewirken. Die Aufgabe der Religionen sei es, mit einem von allen getragenen Konzept das weltweite Gewaltpotential zu überwinden.
Der aus Mekka stammende Vorsitzende des Zetralrats der Muslime, Nadeem Elyas, folgte konzentriert den Ausführungen des Journalisten und Pfarrers Andreas Rössler, welcher das Gespräch moderierte.


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